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PVZ und sportmedizinisches Zentrum

Vom Einzelkämpfer zum Teamplayer

Bitte beschreiben Sie uns kurz Ihre Ausbildung und Ihren beruflichen Werdegang.

R. Ecker: Nach dem Medizin- und Sportstudium in Graz und Salzburg habe ich meinen Turnus am Klinikum Wels gemacht. Danach folgten zwei lehrreiche Jahre im „revital Aspach“, einem Rehazentrum für Orthopädie und Sportmedizin, wo ich sehr viel über Sportmedizin gelernt habe. Ich bin dann wieder nach Wels zurückgekehrt und war dort an der Gründung eines medizinischen Trainingszentrums beteiligt, wo ich nach wie vor tätig bin. Daneben habe ich jeden Job angenommen, den es gegeben hat, und eine Wahlarztpraxis geführt, um Punkte für die Kassenstelle zu sammeln. 2009 habe ich eine allgemeinmedizinische Kassenpraxis eröffnet, die nun seit Oktober 2017 als Primärversorgungszentrum betrieben wird. Aktuell sind wir drei Ärzte. Meine beiden Kolleginnen teilen sich 1,3 Stellen, ich habe eine ganze Kassenstelle. Wahrscheinlich wird das Zentrum bald wachsen. Zum engeren Kernteam gehören noch die Assistentinnen, die Krankenschwestern, zwei Ergotherapeutinnen, drei Physiotherapeuten, eine Diätologin, eine Logopädin, eine Psychotherapeutin und eine Sozialarbeiterin.

War es für Sie immer schon klar, dass Sie Allgemeinmediziner werden wollen?

R. Ecker: Relativ bald im Studium, wobei mich Sport ebenfalls schon mein Leben lang begleitet. Als 2009 die neue Kassenstelle ausgeschrieben wurde, hatte ich bereits so viele Punkte gesammelt, dass ich wusste, wenn ich mich bewerbe, bekomme ich die Stelle.

Wann ist die Idee entstanden, ein PVZ zu gründen?

R. Ecker: Der erste Gedanke daran kam Anfang 2016. Die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse hat zu einer Veranstaltung über die Zukunft der medizinischen Versorgung eingeladen. Unter den Vortragenden war auch
Dr. Wolfgang Hockl, der Gründer des PVZ in Enns. Das hat mir ganz gut gefallen. Man konnte bei der Veranstaltung bekannt geben, ob man mittelfristig Interesse hätte, auch ein PVZ zu gründen. Ich habe den Fragebogen ausgefüllt und schon am nächsten Tag einen Anruf von der Krankenkasse erhalten.

Was sind für Sie die wichtigsten Vorteile eines Primärversorgungszentrums gegenüber der klassischen Allgemeinmedizinerpraxis?

R. Ecker: Es gefällt mir, im Team zusammenzuarbeiten, als Einzelkämpfer ist man oft auf verlorenem Posten. Man sitzt Patienten gegenüber und weiß genau, was das Richtige für sie wäre. Man weiß aber auch, dass die Patienten nach der Zuweisung erst nach ein paar Wochen einen Termin bekommen. Wenn sie direkt bei uns im Haus weitergegeben werden, ist das nicht nur schneller, sondern viel verbindlicher. Sie gehen dann wirklich dorthin.
Das Aufkommen in meiner Einzelpraxis hatte sich innerhalb weniger Jahre massiv gesteigert. Zum Schluss waren wir bei 1800 bis 2000 Scheinen und fünf Minuten Zeit pro Patient. Für diese entstanden massive Wartezeiten und mir ist es zu viel geworden. Als dann auch noch ein Kollege in Pension ging, war es Zeit, etwas zu ändern. Jetzt ist die Situation besser. Wir haben ein anderes System aufgebaut und können besser arbeiten.

Das PVZ ist ein Unternehmen mit eigenem Geschäftsführer. Wie funktioniert die Zusammenarbeit? Wer hat die Letztverantwortung? Was sind die Aufgaben des Geschäftsführers?

R. Ecker: Wir sind prinzipiell als GmbH organisiert. Unserem Geschäftsführer, Wolfgang Gruber, haben wir viel zu verdanken, er hat viel Erfahrung in der Leitung von medizinischen Einrichtungen und ihrer Gründung. Besonders in der Gründungsphase war er enorm wichtig. Jetzt liegen seine Aufgaben in der Verwaltung des Budgets, mit dem er die Mitarbeiter bezahlt, Geräte oder Ersatzmaterialien anschafft, Fortbildungen gewährt. Er kümmert sich auch um das Qualitätsmanagement, führt Mitarbeitergespräche, leitet die Teamsitzungen, die wir regelmäßig abhalten, und er ist für das Verhandeln mit den Kassen und die Repräsentation nach außen zuständig. Uns Ärzten mangelt es oft an der notwendigen Rhetorik und Zeit. Heute ist Wolfgang Gruber sechs bis acht Stunden die Woche in unserem PVZ, darüber hinaus stehen wir in E-Mail- und telefonischem Kontakt.

Welche ökonomischen Aspekte waren bei der Gründung des Primärversorgungszentrums ausschlaggebend? Wo lagen besondere Schwierigkeiten, wo Anreize?

R. Ecker: Ich habe der Gebietskrankenkasse meine Bereitschaft bekundet, meine Einzelpraxis aufzugeben und etwas Neues auszuprobieren. Ich wollte mit der Zeit gehen. Es sollte aber keine finanziellen Einbußen für mich bedeuten.
Das wurde mir zugesichert und auch gehalten. Die Gebietskrankenkasse hat durch einen Steuerberater die vorangegangenen zwei Jahre meiner Einzelpraxis geprüft. Analysiert wurden der Verdienst, die Kosten für Mitarbeiter, Versicherungen usw. Was davon übrig geblieben ist, wurde als Basis herangezogen, multipliziert mal 2,3 Arztstellen für das gesamte PVZ, was wir aliquot unter uns aufteilen. Wir haben ein Budget, die Ärzte bekommen ein pauschales Fixum. Dafür haben wir uns entschieden, um Druck und Konkurrenzdenken rauszunehmen. Ich sehe das als Vorteil. Wenn man eine Geldbeschaffungsmaschine möchte, geht man wahrscheinlich anders vor, da wählt man die Einzelfallvergütung. Was das Finanzielle betrifft, sind wir aber durchaus zufrieden.

Gibt es Förderungen seitens der öffentlichen Hand?

R. Ecker: Wir erhielten eine Förderung für die Neugründung und für Anschaffungskosten, die am Anfang natürlich anfallen. Wir haben z.B. die gesamte EDV ausgetauscht und einige neue Geräte angeschafft. Die Förderung haben sich die OÖGKK und das Land Oberösterreich geteilt. Das war schon ein bedeutender Beitrag.

Wie wird das Modell von den Patienten angenommen?

R. Ecker: Für die Patienten bringt das Modell einige Vorteile. Sie schätzen unsere erweiterten Öffnungszeiten. Wir haben 42 Stunden pro Woche geöffnet, jeden Tag von der Früh bis Mittag, und sind überlappend zu zweit und am Nachmittag da. Da wir jetzt zu dritt sind, können wir diesen Service bieten. Im PVZ in Enns ist sogar rund um die Uhr geöffnet, dort sind sie aber zu sechst. Wenn jemand auf Urlaub ist, wird er durch die Kollegen vertreten. Wir können alle auf sämtliche Informationen zugreifen, da die Dokumentation über die gleiche Software läuft. Diese wird auch von all unseren Therapeuten, den Krankenschwestern und den Assistentinnen verwendet. Nur die Psychotherapeutin hat noch ihr eigenes System. Nachdem wir alle unter einem Dach arbeiten, müssen die Patienten dazu auch keine Datenschutzerklärung unterschreiben.

Früher hat der Hausarzt, der Allgemeinmediziner, alle Patienten im Dorf gekannt. In einem Zentrum kann man sich den Arzt nur bedingt aussuchen. Was sagen die Patienten dazu?

R. Ecker: Bei uns hat jeder seinen Hausarzt, ich habe die meisten meiner Patienten behalten, andere sind von meinen Kolleginnen übernommen worden und einige sind neu dazugekommen. Es gibt natürlich auch einen Wechsel. Im Urlaubsfall hat der Patient die Möglichkeit, zu einem anderen Kollegen zu gehen, das ist ja bei der Einzelpraxis auch so. Der Vorteil ist jetzt, dass die Kollegen im Haus sind und sämtliche Unterlagen und Informationen zu einem Patienten, etwa über seine Medikation, Diagnosen, Befunde, bereits vorliegen haben.

Bieten Sie grundsätzlich Hausbesuche an?

R. Ecker: Wie jeder Hausarzt machen auch wir ganz normal Hausbesuche. Unser Vorteil liegt darin, dass uns einige Routinebesuche teilweise von den Krankenschwestern abgenommen werden.

Wie viel Prozent der Patienten müssen Sie tatsächlich zu Fachärzten überweisen?

R. Ecker: Wir sind für das Patientenmanagement verantwortlich und zumeist die ersten Ansprechpartner. Ein gewisser Nachteil ist, dass wir den Charakter einer Ambulanz haben, es ist ein bisschen wie ein Krankenhaus auf dem Land, da man immer zu uns kommen kann. Wir haben prinzipiell ein Terminsystem mit Voranmeldung. Im Alltag halten sich jedoch Terminpatienten und Akutpatienten die Waage. Wir können das Aufkommen aber gut bewältigen, da am Vormittag zwei Ärzte im Einsatz sind und sehr viel Organisatorisches an die Assistentinnen abgeben können. Was medizinisch-technisch möglich ist, wie Blutabnahmen, Infusionen, MR-Messungen, Verbandwechsel, Versorgung chronischer Wunden, wird von den Krankenschwestern erledigt. Wir werfen zuerst einen Blick darauf und übernehmen nur die Fälle, wo es wirklich notwendig ist.

Können Sie sich durch die Arbeit im PVZ stärker auf bestimmte Aspekte Ihrer ärztlichen Tätigkeit konzentrieren?

R. Ecker: Dadurch, dass ich administrative Aufgaben abgeben kann, ist es mir möglich, mich auf das Patientengespräch zu konzentrieren. Ich kann besser auf komplexe Situationen eingehen, die ein genaueres Nachfragen erforderlich machen. Ich mache viel konservative Orthopädie, Manualtherapie und Akupunktur.

Wie bewerten Sie das Arbeiten im PVZ hinsichtlich der Work-Life-Balance?

R. Ecker: Das Privatleben ist mit der Arbeit im PVZ besser kompatibel und es bleibt mehr Zeit für die Familie.
Ich nütze diese Zeit aber auch für privatmedizinische Zusatzangebote und biete außerhalb der Ordinationszeiten Sportmedizin, konservative Orthopädie und Akupunktur an. Daneben betreibe ich Öffentlichkeitsarbeit, schreibe Artikel und halte Vorträge. Die Privatmedizin findet einen Stock höher statt und ist zeitlich und räumlich ganz klar von der Allgemeinpraxis getrennt. Unten Hausarztmedizin mit guter Qualität, aber wenn es Sinn macht, z.B. eine Stoßwellentherapie oder eine Mesotherapie zu machen, ein Belastungs-EKG oder einen Leistungstest, biete ich das zusätzlich hier im Haus an. Ich verfüge auch über ein medizinisches Trainingszentrum mit drei Trainern und einem Sportwissenschaftler, damit wir medizinische Trainingstherapie mit guter Qualität betreiben können.

Wie war die Reaktion der benachbarten Fachärzte und Allgemeinmediziner auf die Gründung Ihres PVZ?

R. Ecker: Die Orthopäden sind alle völlig ausgelastet und es gibt kein Konkurrenzdenken. Als wir das PVZ gegründet haben, war bei den allgemeinmedizinisch tätigen Kollegen aber eine gewisse Angst vorhanden, dass Geschäft verloren gehen und übermächtige Konkurrenz auftreten könnte. Als dann die Winterzeit vor der Tür stand, waren alle froh. Außerdem ging ein Kollege in Pension; er hat seine Ordination fünfmal zur Übergabe ausgeschrieben, doch es hat sich kein einziger Interessent gemeldet. Das beschleunigte die Gründung unseres PVZ, denn der Bedarf war da. Ich musste drei Monate lang seine und meine Patienten betreuen, das war ein Wahnsinn.

Glauben Sie, die Kollegen haben Patienten an Sie verloren?

R. Ecker: Die besorgten Stimmen haben gleichzeitig gejammert, dass sie überfordert sind. Die Bedenken sind jetzt aber verstummt und eigentlich passt es ganz gut. Es gibt jetzt wieder ein gutes Gesprächsklima. Wir haben allerdings schon Aufklärung geleistet und beruhigt, dass wir nicht beabsichtigen, jemandem etwas wegzunehmen. Ich betreue meine Patienten und die Patienten vom Kollegen, der in Pension gegangen ist, weiter. Prinzipiell bleibt jeder bei seinem Hausarzt. Es gibt immer ein paar Verschiebungen. Das ist ganz normal und fällt nicht weiter ins Gewicht. Alle, die nach Marchtrenk ziehen oder dort auf die Welt kommen, kommen zu uns aufgrund fehlender Alternativen. Die meisten Kollegen nehmen keine neuen Patienten auf und wir sind von der Kasse angehalten worden, diese aufzufangen.

Gehen Sie davon aus, dass es künftig mehr PVZ geben wird?

R. Ecker: PVZ sind auf jeden Fall eine Zukunftsform der medizinischen Versorgung für mittelgroße und größere Städte. Für Landgemeinden mit bis zu 3000 Einwohnern sind sie für mich nicht denkbar. In Enns, das circa so groß ist wie Marchtrenk, haben sich alle zusammengeschlossen und es gibt dort nur noch das PVZ. Wir haben eine Sondersituation, bei uns gibt es das PVZ und zusätzlich rundherum Kollegen mit Einzelpraxen, was nach einer holprigen Anlaufphase nun gut funktioniert. Ein PVZ ist also eine Zukunftsform, aber nicht die einzige Form, es gibt auch genug andere Formen, die jetzt schon existieren und gut funktionieren.

Wie viele Patienten haben Sie bislang im Trainingszentrum betreut?

R. Ecker: Einige kommen von unserer Allgemeinpraxis, die meisten aber von außerhalb. Wenn viel los ist, habe ich circa 10 bis 15 Patienten an fünf Tagen pro Woche. Das RE.Vital hat einen Therapiebereich mit Wahltherapeuten, vier Wahlphysiotherapeuten, einem Wahlpsychotherapeuten, drei Masseuren und bald mit Wahlfachärzten, einer Radiologin, einer Unfallchirurgin, einem Homöopathen. Dazu kommen noch das Trainingszentrum, das Fitnessstudio und ein Kursraum, in dem Bewegung, Tanz und Kommunikation angeboten werden. Hier haben wir eine Tanzpädagogin, die therapeutisches Tanzen anbietet und eine Yoga-Trainerin. Es gibt auch Vorträge und Workshops. In meiner Wahlarztpraxis betreibe ich konservative Orthopädie mit einem multimodalen Zugang, weil ich davon überzeugt bin, dass das am effizientesten ist. Im internistischen und leistungsphysiologischen Zimmer betreibe ich Leistungsdiagnostik. Dort habe ich ein Radergometer. Im Erdgeschoß haben wir noch einen Raum, in dem Laufbanddiagnostik gemacht wird und sehr bald auch Ganganalyse. Patienten werden entweder ins Trainingszentrum eingeschleust oder bekommen von unseren Trainern einen Trainingsplan für zu Hause. Ich weise alle Patienten zu, von denen ich überzeugt bin, dass sie durch Training einen Vorteil erfahren und ihr definiertes Therapieziel erreichen können. Dabei können die Ziele ganz unterschiedlich sein, das reicht von Schmerzlinderung bei chronischem Rückenschmerz über Gewichtsreduktion, begleitendes Training im Rahmen einer Marathonvorbereitung bis hin zu Muskelaufbau nach einer Kreuzbandoperation oder Hüftprothesenoperation. Es gibt Zehnerblöcke oder mehrmonatige Angebote zu moderaten Preisen, Rund-um-die-Uhr-Betreuung, ein Eingangsprocedere, Wiederholungstests und monatliche Trainingsanpassungen auf gutem Niveau. Ich habe einen Sportwissenschaftler, der mich auch bei anderen Aufgaben unterstützt, und drei Trainerinnen.

Welche Auswirkungen hat das auf die Compliance der Patienten?

R. Ecker: Die Compliance ist deutlich besser, weil sich die Patienten betreut fühlen. Ich betreue leistungsorientierte Sportler bis hin zu Profisportlern. Ich habe schon lange Erfahrung mit Fitnessstudios und leite seit zwölf Jahren ein medizinisches Trainingsstudio mit drei Standorten in Wels, Thalheim und Grieskirchen. Durch meinen Kontakt mit der Fitnessbranche weiß ich, dass nicht alle, die sich angemeldet haben, auch kommen. Laut Statistik kommt von den Menschen, die sich anmelden, ein Drittel regelmäßig, ein Drittel sehr unregelmäßig und ein Drittel gar nicht. Zu uns kommen praktisch alle. Bei längerer Abwesenheit rufen die Trainer an. Man muss sich für jedes Training anmelden, kann also nicht spontan herkommen, sondern muss sich elektronisch in einen Terminkalender eintragen. Das kann man von zu Hause aus, bei älteren Herrschaften wird das von den Trainern erledigt. Durch die Anmeldung entsteht gleichzeitig eine Verpflichtung.

Wie motivieren Sie die Patienten abgesehen vom Erinnerungssystem?

R. Ecker: Durch die tolle Betreuung, die menschlich sehr gut ist. Unsere Trainer haben ein sehr hohes psychologisches Einfühlungsvermögen. Es wird viel gesprochen und viel Ballast abgeworfen. Es gibt eine gute Betreuung und die Patienten merken, dass etwas weitergeht.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führten Dr. Christine Dominkus und Mag. Thomas Schindl


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