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Chinolone

Substanzklasse mit Achillesferse

Nach der Entdeckung der Nalidixinsäure 1962 und der Markteinführung des ersten Fluorochinolons Norfloxacin 1980 traten die Chinolone einen Siegeszug an. Nicht nur amerikanische Verkaufszahlen (im Jahr 2002 in den USA die ambulant meist verschriebene Antibiotikaklasse – 31500000 ambulante Verschreibungen bzw. 1 Verschreibung pro 10 Einwohner im Jahr 2014) belegen diesen Erfolg – er ist auch objektiv nachvollziehbar. Chinolone zeichnen sich durch hohe Aktivität, ausgezeichnete Bioverfügbarkeit, ein breites Indikationsspektrum und ein hervorragendes pharmakokinetisch-pharmakodynamisches Profil (z.B. tägliche Einmalgabe) aus. Dieser Erfolg spiegelt sich aber leider auch in der beeindruckenden Resistenzentwicklung gegen Chinolone (z.B. von Escherichia coli) wider, die auch mit dem Preisverfall von Ciprofloxacin einherging (Abb. 1).

Außerdem zeichnet sich diese Substanzklasse durch eine wechselvolle Entwicklungsgeschichte aus, da nicht wenige ihrer Vertreter kurz vor oder nach der Markteinführung wegen schwerer Nebenwirkungen zurückgezogen werden mussten (Tab. 1).1Der mehr als fünfzigjährige Einsatz ergibt eine solide Datenbasis, die es erlaubt, auch seltene Nebenwirkungen zu klassifizieren. Allerdings ist die Studienqualität nicht immer auf adäquatem Niveau: "…overall low quality of the available evidence both in terms of the incidence of reported events and the reliability of the available reports. Reports of adverse events are largely subjective …"2 Bei der Diskussion des Nebenwirkungsspektrums der Chinolone darf man aber nicht außer Acht lassen, dass auch andere Antibiotika nicht frei von Nebenwirkungen sind. Beispielsweise finden sich in der Literatur ausreichend Hinweise auf die Hepatotoxizität der Clavulansäure. Das Risiko beträgt 17 Fälle von Hepatotoxizität auf 100000 Verschreibungen.3 Abbildung 2 zeigt die Inzidenzraten von Hepatotoxizität für verschiedene Antibiotika.

Nebenwirkungen

Die Liste potenzieller Nebenwirkungen der Chinolone ist lang, sie treten in sehr unterschiedlicher Häufigkeit auf, ihre klinische Bedeutung ist variabel, betrifft die einzelnen Chinolone teilweise unterschiedlich häufig und kann durch Komedikation verstärkt werden. Als Nebenwirkungen finden sich: Achillessehnenruptur, Aortenaneurysma und -dissektion, Arrhythmien, Arthralgie, Arzneimittelexanthem, Chinolon-assoziiertes Behinderungssyndrom, Clostridium-difficile-Infektion, Depressionen, Durchfall, Fatigue (Ermüdung), Gangstörungen, Geruchs- und Geschmacksstörungen, hämolytisch-urämisches Syndrom, Hörstörungen, Hypoglykämie, Lebertoxizität, Myalgie, Netzhautablösung, Nierenversagen, periphere Neuropathie, Psychosen, QTc-Verlängerung, Schlaflosigkeit, Stevens-Johnson-Syndrom, Suizidrisiko und Unruhe. Die drei momentan am meisten diskutierten Nebenwirkungen sollen nachfolgend etwas näher beleuchtet werden, da sie auch zu einer drastischen behördlichen Einschränkung der zugelassenen Indikationen führten.

Achillessehnenruptur (ASR)

Das Problem einer Sehnenruptur ist seit Langem bekannt. Eine rezente englische Studie untersuchte bei 740 926 Verschreibungen das ASR-Risiko.11 Dieses betrug 2,91 ASR pro 10000 Patientenjahre, stieg jedoch bei gleichzeitiger Kortikosteroideinnahme auf 21,2 ASR pro 10000 Patientenjahre. Das Risiko (OR) für jegliche Sehnenruptur beträgt 1,60, für jegliche Sehnenruptur bei Frauen 2,27, für jegliche Sehnenruptur bei Patienten ab dem 60. Lebensjahr 2,42, ASR 2,71 und bei gleichzeitiger Kortikosteroideinnahme 6,64. Andere Studien zeigen auch, dass dies zwar ein Klasseneffekt ist, der sich jedoch innerhalb der Chinolone unterschiedlich verteilt (Abb. 3). Das Gesamtrisiko ist gering; ich informiere meine Patienten immer über das potenzielle Risiko und empfehle, bei Auftreten entsprechender Beschwerden die Chinolontherapie sofort zu beenden und zur Kontrolle zu kommen.


"Das Gesamtrisiko für eine Achillessehnenruptur ist gering;
ich informiere meine Patientenimmer über das potenzielle Risiko und empfehle, bei Auftreten entsprechender Beschwerden die Chinolontherapie sofort zu beenden und zur Kontrolle zu kommen."


Aortenaneurysma (AA) und -dissektion (AD)

Chronische arterielle Hypertonie ist der Hauptrisikofaktor für AA und AD, die zwar beide mit steigendem Lebensalter assoziiert sind, aber trotzdem seltene Erkrankungen darstellen. Die AD-Inzidenz beträgt 3–6 Fälle pro 100000 Einwohner und Jahr, jene für AA 5–10/100000/Jahr bei thorakalen AA sowie 40/100000/Jahr bei abdominellen AA. Zwei rezente Beobachtungsstudien zeigen ein zweifach erhöhtes Risiko (0,12–0,35/ 100 Patientenjahre), wobei in der kanadischen Studie auch für Amoxicillin (0,07/100 Patientenjahre) ein erhöhtes Risiko detektiert wurde. Die europäische Risikobewertung (PRAC) kam daher zu dem Schluss, dass AA und AD unter Umständen vermehrt als Zufallsdiagnosen im Rahmen von Diagnose und Therapie multimorbider Patienten gefunden wurden und derzeit eine Aktualisierung der Produktinformationen nicht gerechtfertigt ist.

Chinolon-assoziiertes Behinderungssyndrom (CAB) und periphere Neuropathie (PNP)

Hedenmalm beschrieb 1996 erstmals ein PNP-Risiko im Zusammenhang mit Chinolonen. Die Beschwerden können schon nach der ersten Einnahme auftreten, bei 58% hielten sie länger als ein Jahr an und es gibt momentan weder eine kausale noch – bei einigen Patienten – effektive symptomatische Therapie. Die wahre Inzidenz ist nicht bekannt, jedoch wurden in den USA zwischen 1997 und 2015 178 Fälle beschrieben; dies entspricht 1 CAB-Fall auf 3000000 Verschreibungen. In Kanada wurden zwischen 1986 und 2017 115 Fälle berichtet, entsprechend einer Inzidenz von 1 CAB-Fall auf 1000000 Verschreibungen.

Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer

Zusammenfassung

Unsachgemäßer Antibiotikaeinsatz ist – multifaktoriell bedingt – viel zu häufig, sodass zahlreiche Kollateralschäden, von Clostridium-difficile-Infektionen über schwere Nebenwirkungen bis zur Resistenzentwicklung, zu beklagen sind. Es sollte selbstverständlich sein, dass bei nichtbakteriellen Infektionen (z.B. akuter Bronchitis) kein Antibiotikum zum Einsatz kommt, trotzdem sah sich das BASG veranlasst, im Rote-Hand-Brief zu den Anwendungsbeschränkungen von Chinolonen darauf hinzuweisen. Chinolone sollen nicht mehr bei "nicht schweren oder selbstlimitierenden Infektionen (wie Pharyngitis, Tonsillitis, Laryngitis und akuter Bronchitis), zur Prävention von Reisediarrhö oder rezidivierenden Infektionen der unteren Harnwege oder für nichtbakterielle Infektionen" verschrieben werden. Bei "folgenden Indikationen dürfen diese Arzneimittel nur last line verschrieben werden: leichte bis mittelschwere Infektionen (einschließlich unkomplizierter Zystitis, akuter Exazerbation einer chronischen Bronchitis und einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung, akuter bakterieller Rhinosinusitis, akuter Otitis media), es sei denn, andere Antibiotika, die üblicherweise für diese Infektionen empfohlen werden, werden als ungeeignet erachtet."

In der täglichen Praxis bedeutet dies dreierlei:

1. – das sollte Standard jeglicher guten klinischen Praxis sein – die Indikation sorgfältig abwägen und ein möglichst "schmales" Antibiotikum in der optimalen Dosierung auswählen,

2. die Patientinnen über mögliche Nebenwirkungen aufklären,

3. im Auge zu behalten, dass die möglichen Alternativen nicht immer die bessere Therapieoption darstellen.

Richtig eingesetzt sind Chinolone sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich immer noch essenzielle Antibiotika, die der Kliniker nicht missen möchte. Daher sollte das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden – das heißt, die Chinolone sollten weder verteufelt noch als Wundermittel in allen erdenklichen bzw. in falschen Indikationen eingesetzt werden. Vor allem bei Patienten mit echter Betalaktamallergie sind sie eine unverzichtbare Stütze in der ambulanten Antibiotikatherapie. Auch darf nicht vergessen werden, dass andere Antibiotika ebenso ein nicht zu vernachlässigendes Nebenwirkungs- bzw. Interaktionspotenzial haben.

Literatur:

  1. Rubinstein E: History of quinolones and their side effects, Chemotherapy 2001; 47 Suppl 3: 3-8; discussion 44-48. doi:10.1159/000057838

  2. DeLaney MC: Risks associated with the use of fluoroquinolones, Br J Hosp Med (Lond) 2018; 79(10): 552-555. doi:10.12968/hmed.2018.79.10.552

  3. Garcia Rodriguez LA et al.: Risk of acute liver injury

  4. Idsoe O et al.: Nature and extent of penicillin side-reactions, with particular reference to fatalities from anaphylactic shock, Bull World Health Organ 1968; 38(2): 159-188

  5. Derby LE et al.: Erythromycin-associated cholestatic hepatitis. Med J Aust 1993; 158(9): 600-602

  6. Derby LE et al.: Cholestatic hepatitis associated with flucloxacillin, Med J Aust 1993; 158(9): 596-600

  7. Höffler D, Stahlmann R: Unerwünschte Wirkungen und Risiken von Fluorchinolonen. Dtsch Arztebl International 2000; 97(45): 3022-3026

  8. Carbon C: [Levofloxacin adverse effects, data from clinical trials and pharmacovigilance]. Therapie 2001; 56(1): 35-40

  9. Forget EJ und Menzies D: Adverse reactions to first-line antituberculosis drugs. Expert Opin Drug Saf 2006; 5(2): 231-249. doi:10.1517/14740338.5.2.231

  10. Polson JE: Hepatotoxicity due to antibiotics. Clin Liver Dis 2007;11(3):549-561, vi. doi:10.1016/j.cld.2007.06.009

  11. Persson R und Jick S: Clinical implications of the association between fluoroquinolones and tendon rupture: The magnitude of the effect with and without corticosteroids, Br J Clin Pharmacol 2019; 85(5): 949-959. doi:10.1111/bcp.13879

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