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Impfen

Eine Frage des (Ge-)Wissens?

Wien, ein sonniger Samstagmorgen im Frühherbst. Der Festsaal des Technischen Museums ist gefüllt bis auf den letzten Platz. Der Anlass: eine Fortbildungsveranstaltung der Ärztekammer für Wien.1 Das Thema: Impfen. Auf der Bühne erläutern hochkarätige Referenten alle Facetten des dargebotenen Themenbereichs bis hin zum Umgang mit impfkritischen Personen. Im Publikum wird zustimmend genickt und notiert. Emotionen kommen auf, als aktuelle Daten zu Defiziten bei den Durchimpfungsraten von Kindern und Jugendlichen präsentiert werden. Ein Zwischenrufer fordert „die Impfpflicht für Kinder, am besten gekoppelt an die Kinderbeihilfe“. Aus einer anderen Ecke des Saals wird dagegengehalten, dass „die Ärztekammer zuerst ihre eigenen Schützlinge in die Pflicht nehmen“ sollte. Allgemeines Raunen zu beiden Wortmeldungen. Weshalb bewegt das Thema Impfen das Auditorium derart? Wie stehen Angehörige der Gesundheitsberufe eigentlich zu diesem Thema?

Gesundheitspersonal im Spannungsfeld zwischen Selbst- und Fremdverantwortung

Univ.-Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt weist in einem Artikel auf die duale Rolle der im Gesundheitsbereich tätigen Personen hin:2 Einerseits geht es um den Individualschutz der geimpften Person selbst. Demgegenüber steht aber der auch als Herdenschutz bezeichnete Schutz des Kollektivs, der dadurch erreicht wird, dass die erfolgreich geimpfte Person andere nicht mehr anstecken kann. Dies betrifft neben den Ärzten auch Angehörige der Pflegeberufe, Physiotherapeuten, Medizinstudenten und Krankenpflegeschüler sowie Labor- und Reinigungspersonal. Es ist nicht nur die Verantwortung des Krankenhausträgers, sondern auch die jedes Einzelnen sicherzustellen, dass Patienten nicht durch im Gesundheitswesen tätige Personen einem vermeidbaren Infektionsrisiko ausgesetzt werden. Eine Forderung, die ebenso für den niedergelassenen Bereich gültig ist.2

„Zahlen aus Österreich sind in dieser
Form nicht verfügbar, aber wenn
wir den Impfbedarf im Rahmen von
Neueinstellungen in den Kliniken
ansehen, ist davon auszugehen,
dass sich die Impfraten bei den
Ärzten vor der Anstellung nicht
wesentlich von jenen in der Allgemeinbevölkerung
unterscheiden.“

Dass die Impfung des Gesundheitspersonals die Sicherheit der Patienten erhöht, kann z.B. anhand der Daten einer rezent publizierten Metaanalyse zum Einfluss der Grippeimpfung beim Gesundheitspersonal auf Mortalität und Morbidität von Patienten veranschaulicht werden: Das Sterberisiko der Patienten wurde durch die Impfintervention um 29%, das für grippale Infekte („influenza-like illness“) sogar um 42% reduziert.3 Aufgrund unzureichender Impfquoten bei Mitarbeitern des Gesundheitswesens in Österreich wurden Richtlinien zu Impfungen für das Gesundheitswesen entwickelt (Tab. 1).4

Tab. 1: Medizinische Personengruppen und Impfindikationen nach Impfung und Bereichen für Personen mit patientennaher Tätigkeit4

Eine wachsende Herausforderung: „vaccine hesitancy“

Obwohl Impfungen einen der größten Erfolge der modernen Medizin darstellen und zahllose Studien dies untermauern, scheinen sie aus der kollektiven Wahrnehmung zunehmend verdrängt zu werden.5 Die wachsende Skepsis oder Ablehnung Impfungen gegenüber wurde von der WHO unter dem Begriff „vaccine hesitancy“ (hesitancy = Unschlüssigkeit, Zögern) aufgegriffen.6

Tab. 2: 3C-Modell der „vaccine hesitancy“ (nach MacDonald NE)

Das deutsche Robert-Koch-Institut ging in einer Onlinebefragung von Krankenhauspersonal zur Influenzaimpfung (OKaPII) der Situation bezüglich Grippeimpfung des Personals an deutschen Kliniken in der Influenzasaison 2016/2017 nach.7 Dabei wurden aktueller Impfstatus, Impfhistorie und Impfintention sowie mögliche Gründe gegen eine Impfung erhoben. Die Influenza-Impfquote der Befragten lag insgesamt bei 40% und war bei den Ärzten mit etwas über 60% am höchsten. Dagegen war nur etwa ein Drittel der Mitarbeiter in therapeutischen Berufen und in der Pflege gegen Grippe geimpft. Bezüglich der Impfintention für die Folgesaison waren fast drei Viertel der Ärzte bereit, sich wieder gegen Grippe impfen zu lassen, bei den therapeutischen Berufen und Pflegepersonen lag die Bereitschaft zur Grippeimpfung hingegen bei nur etwa 40%. In diesem Zusammenhang scheint es erwähnenswert, dass mehr als 20% aller im Gesundheitswesen Tätigen pro Grippesaison eine Serokonversion durchmachen. Auch bei subklinischem Verlauf der Infektionen kommt es zur viralen Ausscheidung. Personen, die im Gesundheitswesen tägig sind, leisten auf diese Weise einen relevanten Beitrag zur Propagation der jährlichen Influenza-Epidemien.2

„Wenn Ärztinnen und Ärzte als Eltern zu mir kommen, um ihre Kinder impfen zu lassen, ist dies häufig der Moment, wo der Entschluss gefasst wird, auch eventuell bestehende Lücken im eigenen Impfstatus zu schließen.“

Priv.-Doz. DDr. Tamás Fazekas,
ngl. Facharzt für Pädiatrie in Wien

Gründe für und gegen Impfungen beim Gesundheitspersonal

In der erwähnten Untersuchung des Robert-Koch-Institutes, ähnlich wie in anderen internationalen Studien, war der am häufigsten genannte Grund für die Impfung der Selbstschutz, der Patientenschutz war dem nachgeordnet.7, 8, 9 Einen weiteren Anlass, den eigenen Impfstatus zu aktualisieren, sieht der Pädiater Priv.-Doz. DDr. Tamás Fazekas, Wien, im Zusammenhang mit der Impfung der eigenen Kinder: „Wenn Ärztinnen und Ärzte als Eltern zu mir kommen, um ihre Kinder impfen zu lassen, ist dies häufig der Moment, wo der Entschluss gefasst wird, auch eventuell bestehende Lücken im eigenen Impfstatus zu schließen.“

Bei den Gründen gegen die Impfung zeigen sich ebenfalls Unterschiede. Waren es bei der Ärzteschaft vor allem organisatorische Gründe, nannten die beiden anderen Berufsgruppen fehlendes Vertrauen in die Sicherheit und die Effektivität der Influenza-Impfung (Abb. 1) als Ursache.7 Möglicherweise ist in diesem Zusammenhang also eine zielgruppenspezifische Kommunikation notwendig. Bei den Ärzten könnten sich z.B. aufsuchende Impfangebote (Impfteams auf Stationen) anbieten, organisatorische Barrieren auszuräumen. Auch Fazekas sieht in der Convenience einen wesentlichen Faktor für das erfolgreiche Durchsetzen von Impfungen: „Ich habe sämtliche Impfstoffe bei mir im Kühlschrank. Ist die Entscheidung zur Impfung getroffen, kann sie sofort durchgeführt werden. Zusätzliche Wege bergen die Gefahr der Verzögerung oder dass die Motivation wieder schwindet.“

Als weitere Gründe gegen eine Impfung werden in verschiedenen Untersuchungen der Glaube, durch regelmäßige Exposition und Hygienemaßnahmen geschützt zu sein, Bedenken bezüglich Nebenwirkungen, Vergesslichkeit und ebenfalls Zweifel an der Effektivität der Impfung sowie Misstrauen gegenüber der pharmazeutischen Industrie angeführt. Darüber hinaus scheinen auch viele Angehörige der Gesundheitsberufe einen Mangel an Wissen bezüglich Impfstoffen, Adjuvanzien und Impfschemata zu empfinden.7, 8, 10, 11 „Wir wissen, dass sich die Gründe, warum sich medizinisches Personal nicht impfen lässt, nicht wesentlich von jenen in der Allgemeinbevölkerung unterscheiden“, bestätigt Univ.-Prof. Dr. Ursula Kunze vom Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien diese Studienergebnisse und konstatiert auch Wissenslücken innerhalb der Ärzteschaft. Die Teilnahme an Informationsgesprächen oder Fortbildungen über die Influenzaimpfung beim Gesundheitspersonal führt zu einer höheren Wahrscheinlichkeit, sich selbst gegen Grippe impfen zu lassen.12, 13 Schließlich kann aber auch der Erfolg der Immunisierungsprogramme selbst paradoxerweise dazu führen, dass aufgrund der dadurch geringeren Häufigkeit von Erkrankungen die grundsätzliche Awareness für die Schwere und Bedeutung der jeweiligen Erkrankung verloren geht („complacency“).6 „In diesen Fällen ist der Erfolg der Impfung sozusagen ihr eigener Feind“, bedauert Kunze diesen Zusammenhang.


Negativer Einfluss der Medien

Angehörige der Gesundheitsberufe recherchieren – wie ihre Patienten auch – im Internet und unterliegen dem Einfluss neuer Informationstechnologien und Kommunikationsplattformen, welche auf vielerlei Weise zu einer Verbreitung der impfbezogenen Verunsicherung beigetragen haben.14 Ein Punkt, der hier relevant sein dürfte, ist das Bedürfnis vieler Medien, „ausbalancierte“ Information zu bieten.

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„Es wird – aus Gründen der Ausgewogenheit – einem Impfbefürworter ein Impfgegner gegenübergestellt. Aber welchen Informationswert hat eine derartige Gegenüberstellung für den Rezipienten tatsächlich, der die Datenlage nicht kennt und damit den Wert der Argumente nicht beurteilen kann? Auch der Begriff des ,Impfbefürworters‘ ist irreführend: Jemand, der Impfungen empfiehlt, ist kein Impfbefürworter, sondern jemand, der den aktuellen Stand des Wissens vertritt.“

Univ.-Prof. Dr. Ursula Kunze
Zentrum für Public Health
Medizinische Universität Wien

Auch in einer kürzlich publizierten und im Rahmen von Fokusgruppen in sieben europäischen Mitgliedsstaaten durchgeführten Befragung über Barrieren, die Mitarbeiter im Gesundheitswesen gegenüber Impfungen empfinden, wurde die kontroversielle Rolle der Medien ebenfalls als ein wesentlicher Punkt angegeben.7 Vor dem Hintergrund der durch widersprüchliche Informationen zunehmenden Verunsicherung hinsichtlich der Sicherheit von Impfungen wurde von der Nationalen Referenzzentrale für Impfungen, Reise- und Tropenmedizin des Bundesministeriums für Gesundheit, dem Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der Medizinischen Universität Wien, ein Leitfaden für die kompetente Aufklärung über Art, Häufigkeit, Ursachen und Risiken von Impfnebenwirkungen herausgegeben ( www.bmgf.gv.at ).


Geimpfte sind stärkere „Impfambassadors“

Eine Metaanalyse von 185 Fachartikeln ergab, dass geimpftes Gesundheitspersonal (Ärzte, Krankenschwestern, Hebammen) Impfungen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit empfahl, wenn es selbst geimpft war oder wenn es sich vorgenommen hatte, sich selbst in der nächsten Saison impfen zu lassen.15 Eine dänische Studie in 97 allgemeinmedizinischen Praxen konnte zeigen, dass in den Ordinationen, in denen eine uneingeschränkt positive Einstellung gegenüber der Mumps-Masern-Röteln-Impfung herrschte, die Impfrate bei 85% lag, während sie in Praxen mit einer zurückhaltenderen Einstellung nur bei 69% lag.16

Wenn auch die Daten darauf hindeuten, dass der Impfstatus eines Angehörigen der Gesundheitsberufe seine Bereitschaft, Impfungen zu empfehlen, anzeigt, gibt es doch eine Gruppe, die überzeugt ist, dass ihr persönlicher Impfstatus Privatsache ist und nicht in die Patientenberatung einfließt. Auch wehren sich manche Angehörige der Gesundheitsberufe dagegen, in die Vorbildrolle gedrängt zu werden.15 Interessanterweise betrachteten in einer Studie aus Großbritannien ungeimpfte Angehörige der Gesundheitsberufe die Entscheidung der Patienten bezüglich der Durchführung einer Grippeimpfung als deren persönliche Angelegenheit, während ihre geimpften Kollegen der Meinung waren, den Patienten die Impfung empfehlen zu müssen, da es sich um eine öffentliche Gesundheitsangelegenheit handelt.16

Angehörige der Gesundheitsberufe stellen nach wie vor jene Informationsquelle zum Thema Impfen dar, der vonseiten der Öffentlichkeit das meiste Vertrauen entgegengebracht wird.14, 15 Dennoch gerät die Kapazität auch dieser Personen angesichts von Zeitdruck, stetigen Neuerungen bei Impfstoffen und deren Adjunvanzien, der steigenden Zahlen impfkritischer Patienten sowie unzureichender Information bzw. Ausbildung für ein evidenzbasiertes Auseinandersetzten mit verunsicherten oder kritischen Patienten an ihre Grenzen. Angehörige der Gesundheitsberufe, denen es selbst an Vertrauen in Impfungen mangelt, können jedoch durch ihre Haltung die Anstrengungen, die öffentliche Meinung gegenüber Impfungen zu verbessern, gefährden. Zudem ist auch die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sie sich selbst impfen bzw. Impfungen empfehlen. Daher ist es sicherlich wichtig, öffentlich geäußerte Bedenken nicht zu ignorieren, sondern ihnen offen zu begegnen. Die Aufgabe, Verunsicherungen in der Bevölkerung abzubauen, kann aber nicht auf die Gesundheitsberufe übertragen werden, ohne zuvor deren eigene Bedenken zu verstehen und bei ihnen das notwendige Vertrauen aufzubauen.14 Jedenfalls sollte die Entscheidung, selbst geimpft zu sein oder eine Impfung zu empfehlen, auf der Basis eines guten (Ge-)Wissens erfolgen.

Bericht:
Dr. Christian Tatschl

Literatur:

  1. Collegium Publicum. Der fallorientierte Samstag mit Tipps für die Praxis. Impfen. Eine Veranstaltung des Referates für ärztliche Fortbildung der Ärztekammer für Wien. Wien Technisches Museum, 29. September 2018

  2. Wiedermann-Schmidt U: Impfungen bei Gesundheitspersonal. Österreichische Ärztezeitung 2016; 23(24): 28-33

  3. Ahmed F et al.: Effect of influenza vaccination of healthcare personnel on morbidity and mortality among patients: systematic review and grading of evidence. Clin Infect Dis 2014; 58: 50-7

  4. Wiedermann U et al.: Impfungen für Mitarbeiter des Gesundheitswesens. Wien Klin Wochenschr 2014; 126(Suppl 1): S11-S22

  5. Killian M et al.: Vaccine hesitancy among general practitioners: evaluation and comparison of their immunisation practice for themselves, their patients and their children. Eur J Clin Microbiol Infect Dis 2016; 35: 1837-43

  6. MacDonald NE: Vaccine hesitancy: Definition, scope and determinants. Vaccine 2015; 33: 4161-4

  7. Neufeind J et al.: OKaPII-Studie zur Influenza-Impfung: Impfquoten und Impfmotivation bei Klinikpersonal in der Influenza-Saison 2016/2017. Epid Bull 2018; 32: 313-21

  8. Dalma A et al.: Promotion of immunizations for health professionals in Europe: a qualitative study in seven European member states. Hosp Top 2018; 96: 18-27

  9. Hollmeyer HG et al.: Influenza vaccination of health care workers in hospitals – a review of studies on attitudes and predictors. Vaccine 2009; 27: 3935-44

  10. Karafillakis E et al.: Vaccine hesitancy among healthcare workers in Europe: a qualitative study. Vaccine 2016; 34: 5013-20

  11. Collange F et al.: Knowledge, attitudes, beliefs and behaviors of general practitioners/family physicians toward their own vaccination: a systematic review. Hum Vaccin Immunother 2016; 12: 1282-92

  12. Spadea A et al.: Effectiveness of a training course on influenza vaccination in changing medical students’ and healthcare workers’ attitudes towards vaccination. Ig Sanita Pubbl 2013; 69: 387-402

  13. Thoon KC, Chong CY: Survey of healthcare workers’ attitudes, beliefs and willingness to receive the 2009 pandemic influenza A (H1N1) vaccine and the impact of educational campaigns. Ann Acad Med Singapore 2010; 39: 307-6

  14. Karafillakis E, Larson HJ: The paradox of vaccine hesitancy among healthcare professionals. Clin Microbiol Infect 2018; 24(8): 799-800

  15. Paterson P et al.: Vaccine hesitancy and healthcare providers. Vaccine 2016; 34: 6700-06

  16. Trier H: Doctors’ attitudes and MMR-vaccination. Scand J Prim Health Care 1991; 9: 29-33

  17. Marcu A et al.: Accounting for personal and professional choices for pandemic influenza vaccination amongst English healthcare workers. Vaccine 2015; 33: 2267-72


Weiterführende Informationen

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