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„Adaptive Intelligenz“ – Spital der Zukunft

Was verstehen Sie unter dem Begriff „adaptive Intelligenz“?

R. Körbler: Wir sprechen immer von „artificial intelligence“. Philips hat jedoch den Ausdruck „adaptive Intelligenz“ geprägt. Wir verstehen darunter einerseits Software mit Algorithmen und hinterlegten Referenzdaten und andererseits unser klinisches Domainwissen – wir kennen sehr gut die Prozesse im Krankenhaus und wissen, was in den Abteilungen passiert. Wenn also eines unserer Geräte Daten bekommt, dann kennen wir den analytischen Algorithmus, der daraus wieder ein Bild zusammensetzt, und das Setting, in dem die Untersuchung erfolgt. Mit diesem erweiterten und integrativen Zugang kann man deutlich bessere Resultate erzielen, als wenn man ein externes IT-Unternehmen mit der Entwicklung eines Algorithmus beauftragt und mit Daten füttert. Bei uns bleibt alles im Haus. Außerdem ist das System homogen in unsere Applikationen und Lösungen integriert. Man muss sich nicht irgendwo einloggen und hat keine unterschiedlichen Bedienoberflächen etc.

Derzeit liegt der Fokus auf AI in der Bildgebung, etwa bei der automatischen Befundung von Röntgenbildern, das reicht auch schon in die Pathologie: Wir haben zum Beispiel ein digitales Pathologiesystem mit integrierten AI-Algorithmen für das Mamma-, Kolon- und Prostatakarzinom.

Sie haben Prozesse im Spital erwähnt – welche Unterstützung bietet die AI?

R. Körbler: Der zweite große Bereich ist das Workflowmanagement im Spital, das mit AI gesteuert und verbessert werden kann. Einerseits können interne Prozesse optimiert werden, andererseits kann es viele Vorteile für die Patienten bringen. Ein Beispiel: Wir arbeiten an Systemen, die das automatische Positionieren beim Röntgen des Patienten unterstützen. Derzeit wird der Detektor manuell eingerichtet und es kann vorkommen, dass der Patient ein zweites Mal zum Röntgen muss, weil der Detektor nicht optimal positioniert war. Dies wird mit intelligenter Software vermieden, da sie anhand einer Aufnahme der Konturen des Patienten, bestimmter „Landmarks“ wie Schulter und Hüfte und eines anatomischen Atlanten, exakt berechnet, in welcher Höhe bei einem Patienten der Detektor zu positionieren ist. Einmal erfasste Bilder werden archiviert und das System macht dann selbstständig „Zusatzaufgaben“ im Sinne von Zusatzbefunden und macht ggf. darauf aufmerksam.

Automatische Zusatzbefunde leiten zum Thema Monitoring über – wo liegen hier die Vorteile?

R. Körbler: Zum Beispiel in der Patientensicherheit. Wir führen die in der Normalstation im Spital routinemäßig täglich erfassten Werte von Patienten – Blutdruck, Temperatur, Sauerstoffsättigung, Atemfrequenz – zusammen. Die Software erkennt, wenn Werte sich über einen Zeitraum verändern, denn Sepsis, Herzinfarkt usw. haben Vorboten, die sich sechs bis 24 Stunden vorher in einer Veränderung der Parameter abzeichnen. Eine erfahrene Krankenschwester, die den Patienten beobachtet, erkennt das natürlich auch, aber das Problem ist, dass wir heute größere Stationen und weniger Pflegepersonal haben. Das unbemerkte Verschlechtern von Patienten führt unter Umständen dazu, dass der Patient auf eine Intermediate-Care- oder Intensivstation verlegt werden muss, was die Kosten steigert und den Spitalsaufenthalt verlängert. Mithilfe der Software kann das vermieden werden.

Wie stellen Sie den kontinuierlichen Betrieb Ihrer Geräte sicher?

R. Körbler: Alle unsere eigenen Geräte sind über eine gesicherte Internetleitung an unsere Servicecenter angebunden. Ähnlich wie in der Formel 1 bekommen wir telemetrisch alle Daten, die zeigen, wie die Geräte gerade laufen. Diese Daten verwenden wir für ein sogenanntes Heartbeat-Monitoring, bei dem wir prüfen, in welchem Zustand das jeweilige System ist. So können wir entscheiden, ob beispielsweise die Wartung, die standardmäßig ein- bis zweimal im Jahr erfolgt, vorgezogen werden muss, weil ein Teil eine Schwachstelle zeigt.

AI im Gesundheitswesen allgemein – welche Herausforderungen sehen Sie vorrangig?

R. Körbler: Wir haben in Österreich mit der Einführung von ELGA das übergeordnete System flächendeckend eingeführt. Was fehlt, ist die Ebene darunter, denn es gibt meines Wissens nach kein System, das den intra- und extramuralen Bereich vernetzt. Das bedeutet, dass die Niedergelassenen andere IT-Systeme verwenden als die Spitäler. Wenn der Patient im Spital aufgenommen wird oder wenn er aus dem stationären in den ambulanten Bereich zurückgeht, reißt der Datenfluss ab. Alles, was in ELGA landet, wird daher aus vielen einzelnen, fragmentierten Lösungen zusammengeführt. Dabei sollte man nicht vergessen, dass die größten Fehler bei der Übergabe der Patienten passieren – von der Rettung ins Spital, innerhalb des Spitals vom Arzt zur Krankenschwester und umgekehrt und dann wieder zurück in den ambulanten Bereich.Das zweite Beispiel ist das kürzlich eingeführte T-Web, wo man bei gesundheitlichen Beschwerden die Telefonnummer 1450 anrufen kann. Dort sitzen ausgebildete Kräfte, die einen Fragenkatalog durchgehen und danach eine Empfehlung geben, was zu tun ist. Diese Daten werden nicht weitergegeben, weil es dazu keine telefonische Einwilligungserklärung des Patienten gibt. Lautet also die Empfehlung „Gehen Sie in die nächste Ambulanz“, erfährt das niemand.

Mit dem Thema Datenschutz sind ja viele Vorbehalte und Ängste verbunden.

R. Körbler: In den Medien wird sehr stark auf den Datenschutz fokussiert. Wichtig ist, die Datenerfassung in geordnete Bahnen zu lenken und sicher zu machen. Die Datenschutzgrundverordnung ist gut, sie wird nur teilweise ins Gegenteil verkehrt. Schon bei unserem alten Datenschutzgesetz hat es die Möglichkeit gegeben, Daten in Europa zu speichern. Daran hat sich nichts geändert. Hier müssen wir die Leute besser aufklären und ihnen zeigen, was wir machen, damit ihre Daten sicher sind. Ein Beispiel: Wir haben eine holländische Firma gekauft. Die hat für die Primärversorgungszentren, mit denen Holland schon seit Jahren gut versorgt ist, ein Patientenportal entwickelt. Dieses leitet die Patienten durch das Gesundheitssystem. Meiner Meinung nach brauchen wir in Österreich sogar zwei Plattformen: Eine führt den Patienten durch das Gesundheitssystem. Themen sind das gesunde Leben und die Krankheitsprävention einerseits und andererseits Maßnahmen für chronisch Kranke, damit sich ihr Status nicht verschlechtert.

Das zweite Portal ist für alle, die in der Diagnostik und Therapie arbeiten. Sie müssen eine vollständige Sicht auf ihre Patienten bekommen. Allerdings müssen wir zuerst die Prozesse definieren, dann können wir sie mit IT-Lösungen unterstützen. In den USA wird beispielsweise bereits vorgegeben, wie viele IT-Systeme eine Klinik haben soll und darf, damit alles effizient läuft. Je höher der Homogenisierungsgrad, umso weniger Systeme sind im Einsatz, die aber perfekt zusammenarbeiten. In diese Richtung müssen wir auch gehen, was jedoch schwierig ist, denn wir haben, vor allem im stationären Bereich, über Jahre gewachsene Strukturen mit teilweise über 100 IT-Systemen in einer Klinik. Dabei muss man die Aufgaben eines Hauses berücksichtigen: Eine Universitätsklinik, die Forschung betreibt, braucht andere – spezielle – Softwarelösungen als ein Landkrankenhaus, wo im Vordergrund stehen muss, dass die Patienten optimal versorgt sind, die Patientensicherheit gewährleistet ist und es nicht so viel kostet.

Wenn AI zunehmend ins Gesundheitssystem eingeführt wird, werden die Algorithmen irgendwann den Arzt ersetzen?

R. Körbler: Nein, die Angst, dass AI irgendwann den Arzt ersetzen wird, müssen wir nicht haben. Ich höre sehr oft, besonders aus dem Pflegebereich, dass der Einsatz von Algorithmen und Softwarelösungen extrem willkommen ist. Die Gründe dafür sind eine steigende Zahl an Patienten und eine Zunahme an chronisch Kranken. Wenn wir die Leistungen, die heute erbracht werden, in Zukunft zumindest auf dem gleichen Level halten wollen, werden wir um AI-Lösungen nicht herumkommen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte

Mag. Wolfgang Chlud

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