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AmberMed – medizinische Versorgung ohne e-card

Unversichert und unsichtbar

Seit mittlerweile zehn Jahren organisiert Carina Spak die medizinische Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherung. Die ausgebildete Sozialarbeiterin hat nach ihrer wirtschaftlichen Zusatzausbildung begonnen, für die Diakonie zu arbeiten und ist seit 1996 in vielfältigen Bereichen tätig: Vom Flüchtlingsdienst kam sie über unterschiedliche Teilorganisationen der Diakonie schließlich zu AmberMed, der ambulanten medizinischen Versorgung, sozialen Beratung und Medikamentenhilfe für Menschen ohne Versicherungsschutz.

Warten auf den Arzt

Offenbar sieht uns die organisatorische Leiterin von AmberMed die Verwunderung an, nachdem wir uns durch den überfüllten Warteraum gedrängt haben. Frauen mit Kindern, Schwangere und durchaus gepflegte Männer hatten wir hier nicht unbedingt erwartet, stattdessen Obdachlose oder psychisch Kranke, die keinen Versicherungsschutz haben.

"An einem Montag wie heute warten unsere Patienten meist schon zwei Stunden darauf, dass die Ambulanz um 14 Uhr öffnet. Ein Großteil der Menschen, die unsere Hilfe sucht, kommt aus Europa. Und fast alle arbeiten, aber nicht unbedingt in einem legalen Dienstverhältnis – oft deshalb, weil die Arbeitgeber sie nicht anmelden oder für Reinigungskräfte Dienstleistungsschecks ausfüllen. Andere können von ihrem Job kaum leben und somit auch keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlen", klärt Spak gleich zu Beginn des Gesprächs auf.

Opfer von Arbeits- und sexueller Ausbeutung verschlägt es ebenso nach Wien-Inzersdorf wie atypisch Beschäftigte, zurückgekehrte Auslandsösterreicher, Selbstständige nach einem Konkursverfahren oder Menschen, die zu stolz sind, Mindestsicherung zu beantragen. Darüber hinaus wenden sich Mitversicherte, deren Partner kürzlich verstorben ist, und Studierende ohne Versicherungsschutz an AmberMed. Aber auch Asylwerber, die sich anstatt "im Tiroler Bergdorf" in Wien aufhalten und daher ihren Anspruch auf Grundversorgung verlieren, zählen zu den Patienten.

Gesundheit ist ein Menschenrecht

Dr. Monika Matal ist Allgemeinmedizinerin und Gynäkologin. Bereits der Großvater der ehrenamtlichen ärztlichen Leiterin von AmberMed war Mediziner. Was jedoch noch mehr zu Matals Entscheidung, Medizin anstatt Sprachen zu studieren, beitrug, war die gleichzeitige Erkrankung ihrer Eltern, die Spitalsaufenthalte in unterschiedlichen Häusern notwendig machte. Zu dieser Zeit beschloss sie, Ärztin zu werden – aber nicht eine wie jene, die ihr als junge Frau bei den Krankenhausbesuchen begegnet waren. "Ich wusste schon damals, dass ich später Patienten und Angehörigen respektvoll und mitfühlend gegenübertreten würde", erklärt Matal, die nach wie vor überzeugt ist, den richtigen Beruf gewählt zu haben.

Wie kommt eine Frau wie die patente Gynäkologin eigentlich zu AmberMed? Dr. Matal erzählt, dass sie am eigenen Leib erfahren musste, wie rasch der Versicherungsschutz verloren gehen kann: Nachdem sie aus dem Krankenhaus, in dem sie als Ärztin tätig war, ausgeschieden war, verlor sie aufgrund eines fehlenden Dokuments ihre Versicherung, was ihr erst Monate später auffiel. "Viele können es sich einfach nicht leisten, medizinische Leistungen selbst bezahlen zu müssen", weiß Matal, die sich 2006 aufgrund einer Rundmail auf den Weg zu AmberMed gemacht hat. Sie wollte sich "einfach mal ansehen, was diese Institution anbietet". Matal ist seitdem bei AmberMed tätig.

Vier Jahre später wurde Dr. Matal die Position der ärztlichen Leitung angeboten, seitdem setzt sie sich neben ihrer Tätigkeit als niedergelassene Gynäkologin für die Anliegen der Patienten ein. "Wir sind ein tolles Team, alle ziehen an einem Strang. Bei AmberMed arbeiten einfach die richtigen Menschen", erklärt Matal begeistert.

Wer denkt, die engagierte Frauenärztin hätte bei AmberMed einen Schreibtischjob, irrt. Ganz im Gegenteil: Monika Matal hat bei AmberMed sehr viel zu tun: Schließlich sind schwangere Frauen ohne Versicherungsschutz eine besonders vulnerable Patientengruppe. Einige davon haben wir bereits im Warteraum gesehen, andere vertreiben sich die Zeit bis zur gynäkologischen Untersuchung auf dem Parkplatz vor dem Rotkreuz-Gebäude, in dem AmberMed niederschwellig medizinische Hilfe und Sozialberatung anbietet.

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01 Beratungsgespräch: Um sprachliche Barrieren zu überwinden, stehen AmberMed ehrenamtlich arbeitende Dolmetscher zur Verfügung.

02 Ärztliche Leiterin: Seit 2006 ist die Allgemein- medizinerin und Gynäkologin Dr. Monika Matal für AmberMed tätig, 2010 übernahm sie die ärztliche Leitung.

03 Administrative Leitung: Die diplomierte Sozialarbeiterin Carina Spak leitet die Einrichtung von AmberMed, Oberlaaer Straße 300–306, 1230 Wien.

04 Gynäkologische Versorgung: Besonders im Bereich Geburtshilfe gibt es immer wieder Engpässe.

Klassische Armutskrankheiten

Was die rund 3500 Menschen pro Jahr konkret zu AmberMed treibt, möchten wir in Erfahrung bringen. "Es sind vor allem die langfristigen Auswirkungen eines Lebens in Armut: Diabetes mellitus, Hypertonie, Bewegungsarmut, Depressionen und dermatologische Probleme sehen wir beinahe täglich. Wir behandeln auch sexuell übertragbare Erkrankungen wie Chlamydien und Syphilis", erklärt Matal. Meist stellen sich Patienten mit ausgeprägten Symptomen bei einem der diensthabendenden Allgemeinmediziner vor. Ist es erforderlich, werden sie anschließend von einem der ehrenamtlichen Ärzte aus zwölf medizinischen Fachrichtungen behandelt. Oft stellt sich heraus, dass Patienten auch schwer traumatisiert sind. In einem solchen Fall klärt Carina Spak ab, wo sich rasch eine psychotherapeutische Behandlung organisieren lässt.

Ärzte dringend gesucht

Gebraucht werden vor allem Ärzte, aber auch Studierende als Assistenten, am besten mit Fremdsprachenkenntnissen. Es steht jedem ehrenamtlichen Allgemeinmediziner frei, ob er sich einmal oder mehrmals monatlich für vier bis fünf Stunden zur Verfügung stellt. Fachärzte sind meist nur zwei bis drei Stunden bei AmberMed im Einsatz. Spak hat die Erfahrung gemacht, dass vor allem pensionierte Allgemeinmediziner reichen Erfahrungsschatz und große Expertise einbringen. Kann das ehrenamtliche Team die Behandlung nicht abdecken, vermittelt AmberMed die Betroffenen an Ärzte sämtlicher Fachrichtungen, die unversicherte Menschen in ihrer Ordination kostenfrei behandeln.

Sich Zeit nehmen können

"Dass bei uns die Notwendigkeit besteht, sich für die einzelnen Patienten viel Zeit zu nehmen und auch nehmen zu können, empfinden die ehrenamtlichen Ärzte als willkommene Abwechslung zu ihrem hauptberuflichen Alltag", erzählt Matal. Dass ein Großteil der Visiten wesentlich mehr Zeit in Anspruch nimmt als in einer Kassenordination, liegt meist an den sprachlichen Barrieren. Diese werden mithilfe von ehrenamtlichen Dolmetschern, meist Studierenden der Translationswissenschaften, überwunden. "Deshalb sind bei uns Ärzte, die mit den Patienten in deren Muttersprache kommunizieren können, besonders willkommen" erklärt die ärztliche Leiterin und betont, dass vor allem das Angebot der chinesischsprachigen Allgemeinmedizinerin bei AmberMed sehr begehrt ist.

Trotz Arbeit unsichtbar

Auch die Beschäftigung mit sozialen Themen und privaten Schicksalen, die in dieser Form bei Versicherten eher selten anzutreffen sind, erfordern Zeit und Empathie. Daher ist neben der ärztlichen Versorgung die kostenlose Sozialberatung (Tab. 1) einer der Standpfeiler von AmberMed. Spaks vorrangiges Ziel ist, die Menschen ins Versicherungssystem zu integrieren, denn der Großteil der Patienten ist trotz Arbeit unversichert. "In den Sozialberatungen merke ich immer wieder, welche Kraft es erfordert, ,sich unsichtbar zu machen‘. Dazu kommt bei vielen die Scham, ,es nicht geschafft zu haben‘ ".

Der Weg von und zu AmberMed

"Als AmberMed 2004 vom Diakonie Flüchtlingsdienst ins Leben gerufen wurde, gab es noch keine Grundversorgung für Geflüchtete. Die Grundidee war, in Notquartieren untergebrachte Menschen medizinisch versorgen zu können. Vier Monate nach der Gründung gab es schließlich eine Grundversorgung, sodass wir die Zielgruppe auf unversicherte Österreicher und Migranten ausgedehnt haben", erklärt Carina Spak. "Zwei Jahre nach der Ambulanzgründung ergab sich eine großartige Kooperation mit dem Roten Kreuz, von dem wir in erster Linie die Räumlichkeiten und Medikamente zur Verfügung gestellt bekommen, aber auch mit etlichen anderen Organisationen. Die meisten Patienten erfahren über Mundpropaganda von unserem Angebot. Aber auch Mitarbeiter von Organisationen wie beispielsweise Diakonie, Rotes Kreuz, Caritas und Asyl in Not sowie von Behörden und Ämtern weisen kranke Unversicherte auf unser Angebot hin", erklären uns die beiden engagierten Frauen.

Dass der Einsatz für unversicherte Menschen trotz aller Schwierigkeiten auch für das Team enorm bereichernd ist, haben Spak und Matal schon in unzähligen Situationen erlebt. Eine Patientin habe ihr kürzlich eine Orange geschenkt, erzählt uns Frau Dr. Matal, die sie von ihrem am Großgrünmarkt jobbenden Freund bekommen hatte. "Ich könnte mir jederzeit eine Orange kaufen, aber diese Patientin hat mir etwas geschenkt, das sie sich selbst kaum gönnen würde. Geschenke wie dieses Stück Obst kommen so von Herzen, dass ich immer wieder berührt bin. Dahinter stecken Dankbarkeit und Respekt", freut sich die Gynäkologin über "die ganz kleinen Gesten, die unter die Haut gehen".

Zusammenspiel mit Allgemeinmedizinern

Dr. Markus Seidl-Konzett ist bei AmberMed mit medizinischen Problemen konfrontiert, "die sonst niemand ansehen würde". Der Allgemeinmediziner, Internist und Angiologe hat mit seiner Frau im Zuge der Flüchtlingswelle überlegt: "Wie können wir am besten helfen? Bald wurde uns klar, dass wir Geflüchteten das anbieten möchten, was wir gut können: Meine Frau ihr Wissen als Hebamme, ich meine Erfahrung als Arzt."

Die Eltern von drei Kindern stellen seit mittlerweile zwei Jahren ihre Zeit und Expertise für unversicherte Menschen zur Verfügung und versuchen, ihr Umfeld dafür zu gewinnen, sich auch ehrenamtlich zu engagieren. "Die Patienten sind daran gewöhnt, dass sich niemand für sie interessiert. Ihnen können wir so viel geben, indem wir Zeit und Anteilnahme schenken."

Für Seidl-Konzett machen neben den bewegenden Erlebnissen mit den Patienten vor allem das "großartige Zusammenspiel mit Allgemeinmedizinern und die spannende Teamarbeit mit den Übersetzern" die Arbeit bei AmberMed zu etwas ganz Besonderem.


Petition unterzeichnen

Die Petition "AmberMed – medizinische Versorgung ohne Versicherung muss weiterhin möglich sein!" fordert die Finanzierung von AmberMed durch die öffentliche Hand. Unterzeichnen können Sie sie unter der Webadresse:
https://mein.aufstehn.at/petitions/ambermed-medizinische-versorgung-ohne-krankenversicherung

Wenn ambulante Versorgung nicht reicht

Ist eine Versorgung im Krankenhaus nötig, verweist AmberMed an das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, wo Patienten kostenlos behandelt werden. "Von diesem wirklich einzigartigen Spital erhalten wir großzügige Unterstützung", freut sich Spak. Leider gibt es in puncto Spitalsversorgung eine Lücke in der Pädiatrie, Unfallmedizin und Geburtshilfe, da die Barmherzigen Brüder diese Bereiche nicht abdecken. Als Gynäkologin ist Dr. Matal verärgert, dass Schwangere an den Anmeldeschaltern geburtshilflicher Ambulanzen abgewiesen werden: "Die Frauen sind verzweifelt und wissen nicht, wo sie ihr Kind zur Welt bringen können. Durch diesen tragischen Missstand haben im Vorjahr zwei unserer Patientinnen ihr ungeborenes Kind verloren. Glücklicherweise gibt es immer wieder großherzige Menschen wie jene, die beispielsweise mit einer Spende von 1500 Euro eine Familie, bei der eine Geburt ansteht, unterstützen", so Matal.

Mehr Patienten, weniger Unterstützung

Eine große Herausforderung stellen Krebserkrankungen dar, da die kostenintensiven Chemotherapeutika nicht finanziert werden können. So nahmen von Jänner bis Oktober 2019 sieben onkologische Patienten Kontakt mit AmberMed auf. "Für eine der Betroffenen, eine Frau mit hochaggressivem Mammakarzinom, hatten wir bereits die Operation finanziert und organisiert, doch zuvor war noch eine Chemotherapie nötig. Die dafür erforderliche Summe in Höhe von 10000 Euro konnten wir nur aufbringen, weil wir eine spontane Spende in Höhe von 5000 Euro erhielten und einige AmberMed-Mitarbeiter zur Finanzierung beitrugen. Menschen wie diese Frau würden ohne solche Unterstützung sterben", erklärt Matal die Schwierigkeiten mit der Finanzierung von Therapien.

Damit Spendengelder auch für Notfälle verwendet werden können, wünschen sich die beiden Leiterinnen eine Vollfinanzierung des laufenden Betriebs durch die öffentliche Hand. Derzeit ist AmberMed von diesem Ziel noch weit entfernt, da nur die Hälfte der tatsächlich anfallenden laufenden Kosten von der Wiener Gebietskrankenkasse, der Stadt Wien und dem Gesundheitsministerium übernommen werden.

Daher ruft Dr. Matal dazu auf, ihre Petition "Medizinische Versorgung ohne Versicherung muss weiterhin möglich sein" zu unterzeichnen, mit der AmberMed die komplette Finanzierung aus öffentlicher Hand fordert. Zudem ermutigt sie Ärzte, sich an AmberMed zu wenden, wenn diese ihre Zeit Menschen ohne Versicherungsschutz schenken möchten.

Bericht:

Mag. Birgit Schmidle-Loss und Mag. Kerstin Huber-Eibl

Spenden für AmberMed

Spendenkonto: IBAN: AT97 2011 1287 2204 5678,
BIC: GIBAATWWXXX,

Bank: Erste Bank, Empfänger: Diakonie Flüchtlingsdienst, Kennwort: AmberMed

Online-Spenden: https://bit.ly/32pNZrQ

Spenden an AmberMed sind steuerlich absetzbar.


Sachspenden

Neben Medikamenten (keine Kühlware) nimmt AmberMed gerne Heilmittel, medizinische Geräte, Hygieneartikel und Produkte zur Säuglings- und Kinderpflege an.

AmberMed ist das Spendenprojekt des Wiener Ärzteballs 2020.

Mitarbeit

Ärzte, die Interesse an einer Mitarbeit bei AmberMed haben, können sich gerne per E-Mail an ordination@matal.info wenden.


Ambulant-medizinische Versorgung,

soziale Beratung und Medikamentenhilfe

für Menschen ohne Versicherungsschutz

Oberlaaer Straße 300–306, 1230 Wien

Tel.: 01/589 00-847

E-Mail: amber@diakonie.at

Web.: www.amber-med.at

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