Primärversorgungszentrum MEDIUS

"Wir haben hier einen Auftrag!"

Der Weg in die Allgemeinmedizin war für Stefan Korsatko schon früh vorgezeichnet. "Ich komme aus einer Ärzte- und Apothekerfamilie und habe mich schon während des Studiums in Richtung Allgemeinmedizin orientiert. Mich hat der Mensch als Ganzes immer mehr interessiert als das Detail", erklärt er. Während seines Studiums sammelte Korsatko zudem wichtige Auslandserfahrungen, was auch zu dem Entschluss führte, den Turnus nicht in Österreich zu absolvieren. Stattdessen verschlug es ihn zunächst nach Frankreich und anschließend in die Schweiz, wo er ein Modell dafür vorfand, wie er selbst Allgemeinmedizin ausüben wollte: Dort war er Teil einer Kooperation dreier junger Allgemeinmediziner, die sich zusammengetan und eine sogenannte "Permanence" übernommen hatten. Röntgen- und Ultraschalluntersuchungen konnten im Haus gemacht werden, fachärztliche Kurz-Konsile, selbst kleinere chirurgische Eingriffe waren möglich. "Ich habe in den sechs Monaten, die ich dort war, nur drei Patienten ins Krankenhaus geschickt", erinnert sich Korsatko.

Mit dieser Idee kam er zurück nach Österreich. Zunächst führte ihn sein Weg jedoch wieder an die Uni-Klinik Graz, wo er zehn Jahre lang an der Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie tätig war und sich zudem als Diabetologe habilitierte. Darüber hinaus erwarb Korsatko einen Master in Business Administration und beschäftigte sich mit Public Health. Dabei trat die alte Idee eines Primärversorgungszentrums nach Schweizer Vorbild wieder in den Vordergrund. Zudem engagierte er sich am Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung (IAMEV) der MedUni Graz.

Wie verlief die Gründung des PVZ?

Gemeinsam mit den beiden Allgemeinmedizinerinnen Dr. Ines Muchitsch und Dr. Elisabeth Strobl-Gobiet eröffnete Korsatko nach zweijähriger intensiver Vorarbeit am 3. Dezember 2018 das PVZ MEDIUS. "Eine Schwierigkeit war, drei bestehende Kassenverträge in die Gruppenpraxis zu bringen", erklärt er. Das Haus steht im Bezirk Graz-Geidorf, Straße und Gehsteig davor gehören zum Bezirk Leonhard und etwas weiter hinten beginnt der Bezirk Ries. "Voraussetzung war, dass unsere drei Stellen dem gleichen Bezirk zugeordnet sein mussten. Trotz der unmittelbaren Nähe des Standorts zu den drei Bezirken hat es dann aber fast neun Monate gedauert, bis Krankenkasse und Ärztekammer das PVZ genehmigt haben", erinnert er sich. Die Kassenstellen waren von den vormaligen Inhabern zurückgelegt worden und es hatte keine Bewerber gegeben. Das Problem dabei war jedoch, dass die Vorgänger alle ihre Praxen geschlossen hatten. Die drei jungen Hausärzte hatten somit weder einen Patientenstamm noch konnten sie auf bestehende Strukturen zurückgreifen. "Wir haben bei null angefangen und mussten ganz normale Honorarpositionen verrechnen – und das ist der härteste Weg. Noch wissen viele nicht, was ein PVZ ist. Am Eröffnungstag kamen nur drei Patienten, aber die Patientenzahl steigt jede Woche ein wenig und langsam kommen bis zu 100 Patienten pro Tag", sagt Korsatko.

Finanziell war das Projekt für alle Teilhaber ein Risiko. Dazu trug auch der notwendige Umbau des Gebäudes bei. Zwar trug der Eigentümer der Immobilie die Instandsetzung der Grundsubstanz, den Basisumbau von Wänden, Böden usw., doch die notwendige Sanierung des Interieurs haben die drei Ärzte aus eigener Tasche finanziert. "Wir sind aber froh, dass wir es gemacht haben. Schlafen können wir zwar nicht gut, aber wir wissen aus unserer Kalkulation, dass wir es überleben werden", zeigt sich Korsatko überzeugt.

Daneben war es für alle Beteiligten auch eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, in eine große Teamstruktur einzusteigen: Neben den Ärzten sind zwei Pflegekräfte und vier Ordinationsassistentinnen in Teilzeit im PVZ beschäftigt. Außerdem gibt es einen Physiotherapeuten, eine Diätologin, einen Ergotherapeuten, einen Sozialarbeiter, eine Psychologin/Psychotherapeutin, eine PVE-Managerin und zwei Reinigungskräfte.

Die wichtigsten Entscheidungen treffen die Teilhaber gemeinsam, was auch Kompromissfähigkeit und den Willen zum Konsens voraussetzt. "Wir dritteln alles und vertrauen darauf, dass jeder seine Zeit in das Projekt einbringt", so Korsatko. Subventionen seitens der Sozialversicherungen oder der Ärztekammer erhält das PVZ keine. Allerdings werden die Gehälter der beschäftigten Mitarbeiter in den beteiligten Gesundheitsberufen – Diätologin, Psychologin, Physiotherapeut, Sozialarbeiter – teils zu 100% bzw. aliquot zum Anstellungsverhältnis übernommen. Im PVZ sind dies Anstellungen zu 50%, die sich das Land und die Kasse je zur Hälfte teilen. "Das ist ein tolles Mehrangebot, und die Niedergelassenen rundherum sind wahrscheinlich irritiert, dass wir das anbieten dürfen", sagt der Allgemeinmediziner.

Das PVZ umfasst Räumlichkeiten von insgesamt 465 m². In Zukunft sollen auch Räume an Fachärzte vermietet werden. Das sei derzeit nur auf Wahlarztbasis möglich, erklärt Korsatko, aber "das schönere Konzept wäre natürlich, auch Kassenkollegen im Haus zu haben".

Vorteile eines PVZ für die Patienten

"Der Hauptvorteil für mich als Arzt ist, dass ich viel mehr Möglichkeiten habe, Patienten zu versorgen, und das viel schneller", erklärt Korsatko und nennt ein Beispiel: "Wir hatten eine Patientin, die beinahe Opfer einer Vergewaltigung geworden wäre. Die Frau wurde geschlagen, konnte sich aber irgendwie befreien. Sie kam mit Blutergüssen und traumatisiert in die Ordination, sie war schon in der Klinik gewesen und die Polizei war bereits eingeschaltet. Weil unsere Psychologin da war, habe ich die Frau sofort zu ihr gebracht, wo eine Akutversorgung eingeleitet werden konnte."

Weniger dramatisch geht es bei typischen Beschwerden wie Rücken- oder Nackenschmerzen zu. Hier ist innerhalb von zwei bis drei Tagen der Physiotherapeut für eine Kurzintervention im Haus verfügbar, bei Bedarf auch noch ein zweites oder drittes Mal.

Vorteilhaft ist auch, dass die Patienten nicht auf einen bestimmten Arzt warten oder zu einer Vertretung gehen müssen, wenn "ihr" Arzt im Urlaub ist. Jeder der drei Ärzte oder – abhängig vom Fall – eine Pflegekraft kann die Patienten weiterversorgen. "Einen Patienten, der beispielsweise eine akute Bronchitis oder eine Lungenentzündung hat, sieht innerhalb der drei Wochen, die er in Behandlung ist, jeder der drei Ärzte. Ermöglicht wird dies durch eine ausführliche Dokumentation. Dadurch und durch die Einbindung der Pflege ergibt sich ein reibungsloser Ablauf. Im Zweifel ruft man einander an, wenn es Fragen gibt. Ansonsten steht donnerstags die Teamsitzung mit Fallbeispielen, die jeder einbringen kann, auf dem Plan", erläutert Korsatko.

Auch chronisch kranke Patienten haben nicht nur den Arzt als Ansprechpartner, sondern zusätzlich beispielsweise Pflege und Physiotherapie. Letztlich fließt jedoch alles beim Arzt zusammen, denn in den meisten Fällen hat dieser die Führung eines Patienten inne. Allerdings gibt es auch Fälle, in denen die Krankenpflegerin dies übernimmt, etwa beim Wundmanagement. Dabei zieht sie den Arzt hinzu, wenn sie es für nötig hält oder eine Information benötigt. Weitere Vorteile für die Patienten sind die Breite des Angebots und die Geschwindigkeit, etwa dass jederzeit Blutabnahmen, Basislabor und Infusionen möglich sind.

© Dominic Erschen

© Dominic Erschen
© Universimed

Modernes Interieur: Die aufwendige Sanierung der Inneneinrichtung war für die Betreiber ein finanzielles Risiko
Beste Lage: Das PVZ befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum LKH-Uniklinikum Graz
Lokalaugenschein: S. Korsatko führt durch die Räumlichkeiten des PVZ

Vorteile für die Ärzte

Auch die Ärzte und Mitarbeiter profitieren von dieser Form der Zusammenarbeit: "Wir drei Ärzte haben insgesamt neun Kinder im Alter von 5 bis 17 Jahren, und wir sind alle drei die Elternteile, die die Kinder mitversorgen", erklärt der Hausarzt. Durch die Rotationen hat jeder genug Zeit für seine Kinder und man kann sich gut gegenseitig vertreten. In den Urlaubswochen wird die Bestellordination eingestellt und nur der Akutbetrieb aufrechterhalten. So kann immer einer der Ärzte eine ganze Woche auf Urlaub fahren, die anderen teilen sich die Woche auf und der Betrieb läuft für die Patienten weiter. "Ich würde es jedem empfehlen, denn es ist eine schöne Art zu arbeiten, auch um beruflichen Austausch zu haben: Ich kann die Kollegin anrufen, selbst wenn sie zu Hause ist, und sie um Rat fragen, was sie in einer bestimmten Situation tun würde. Oder ich kann nachfragen: ,Dein Patient ist gerade da – ist es für dich okay, wenn ich das so und so mache?‘", sagt Korsatko. "Außerdem sind wir zu dritt, jeder trägt das Risiko zu gleichen Teilen, aber in Wirklichkeit habe ich zwei, die mein Risiko mittragen. Das beruhigt auch ein bisschen, denn wenn ich jetzt zwei, drei Wochen krank bin, dann geht das nicht sofort an die Existenzgrundlage. Das ist eine große Sicherheit, die man hat."

Das Erfolgsrezept ist, die Aufgaben individuell zu verteilen. So ist die Managerin ausgebildete Sozialarbeiterin und hat einen starken Bezug zum Inhaltlichen. Sie ist verantwortlich für das wirtschaftliche und organisatorische Management und die Personalplanung. Außerdem gehören Gesundheitsförderung, Gesundheitskompetenzmaßnahmen und Projekte, die auf das PVZ zukommen, zu ihren Aufgaben. Gewisse Geldbeträge kann sie selbst verwalten, bestimmte Entscheidungen allein treffen. Darüber hinaus werden Entscheidungen in regelmäßigen Meetings oder per E-Mail abgestimmt. Wichtige Entscheidungen werden jedoch grundsätzlich zu dritt getroffen. Dabei muss laut Gesellschaftsvertrag Einstimmigkeit herrschen.

Betreuung chronisch kranker Patienten

Der neue Gesamtvertrag für Primärversorgungseinheiten sieht vor, dass von den Kassen mehr Leistungen für die Betreuung von chronisch Kranken abgegolten werden. Für Typ-2-Diabetes gibt es mit "Therapie Aktiv" in Österreich bereits ein Disease-Management-Programm. "Wir wollen es noch intensivieren und auch die Typ-1-Diabetes-Patienten betreuen sowie eine Diabetesschwester einstellen, an die man sich direkt wenden kann", sagt Korsatko. Weitere chronische Krankheiten, die die drei Allgemeinärzte strukturiert betreuen wollen, sind Hypertonie und COPD. Andere sollen im Lauf der Zeit hinzukommen. Gerade bei diesen Indikationen spielt die Compliance der Patienten eine gewichtige Rolle. Die strukturierte Betreuung erleichtert die Compliance-Überprüfung, denn bei jeder Konsultation wird der Patient bewusst nach Nebenwirkungen von Medikamenten gefragt. "Bei COPD-Patienten ist es sinnvoll, zu überprüfen, wie die Inhalation funktioniert. Und wenn sich der Zustand des Patienten verschlechtert, ist einzuschätzen, ob er vielleicht Atemübungen braucht, die der Physiotherapeut ihm zeigen kann", so Korsatko. Auf lange Sicht sollen Hypertoniker- und Diabetiker-Schulungen angeboten werden, die auch von der Gemeinde Graz häufig angefragt würden. Bei derartigen Erwägungen müsse jedoch auch der Public-Health-Aspekt berücksichtigt werden, der nicht nur das PVZ und seine Patienten allein betreffe, vielmehr sollten alle niedergelassenen Kollegen mit einbezogen werden, betont der Arzt.

In einer gemeinsamen Initiative mit der Apothekerkammer wurde am PVZ ein Projekt zum Medikationsmanagement gestartet. Patienten über 65 Jahre, die mehr als sechs Medikamente einnehmen, können darin eingeschlossen werden. Das Programm ist aufwendig: Sowohl für den Apotheker als auch für die Ärzte und die Pflege kommen ungefähr fünf bis sechs Stunden pro Patient zusammen. Überprüft wird, ob die Medikamente interagieren, ob die Compliance stimmt, welche rezeptfreien Medikamente der Patient noch einnimmt und wie die Einnahme erfolgt. Diese Informationen werden von einer Pflegekraft und der Pharmazeutin eingeholt und mit dem Patienten besprochen. Diese Befragung sei sehr wichtig: "So kommt man etwa darauf, dass der Patient sein Schilddrüsenmedikament nicht jeden Tag nimmt oder das Blutdruckmittel nur, wenn er das Gefühl hat, er braucht es", sagt Korsatko. Einerseits könne man sich vorstellen, wie es bei den meisten Patienten in Wirklichkeit abläuft, andererseits könne man tatsächlich etwas für die Patienten tun.

Intra- und extramurale Zusammenarbeit

Obwohl es keine offizielle Kooperation mit dem LKH-Universitätsklinikum Graz gibt, das in unmittelbarer Nachbarschaft zum PVZ liegt, kommen immer wieder Patienten von dort und der Allgemeinmediziner wundert sich, aus welchen Gründen die Notaufnahme aufgesucht wird: "Viele haben etwas, was der Hausarzt behandeln könnte. Die Patienten, die bisher von der Klinik zu uns gekommen sind, an die 100 Fälle, konnten wir zu 98% hier versorgen."

Nicht ganz einfach ist das Verhältnis zu den niedergelassenen Allgemeinmedizinern in der Umgebung. "Bei der Gründung des Zentrums habe ich persönlich mit einem Großteil der Kollegen, die ihre Ordination in der Umgebung haben, gesprochen und das Konzept vorgestellt. Es ist klar, dass das nicht spannungsfrei verläuft, und dafür mache ich weder uns noch die Kollegen verantwortlich", sagt Korsatko. Er wünscht sich, dass es Absprachen zwischen den Allgemeinmedizinern gibt, zum Beispiel auch hinsichtlich der Vertretung an Wochenenden und in der Ferienzeit. Einen neuen Anlauf will er Ende Juni starten und zu einem Treffen mit einer Fortbildung einladen, um zu versuchen, etwas Spannung abzubauen. "Wir Allgemeinmediziner dürfen uns nicht auseinanderdividieren lassen, sondern müssen schauen, dass wir eine gute Lobby haben, dass wir von der Vielfalt profitieren, die gerade entsteht", betont er. So könnten zum Beispiel auch die Kollegen, die nicht an ein PVZ angebunden sind, durchaus dessen Leistungen in Anspruch nehmen, zum Beispiel beim Wundmanagement oder bei der Akutphysiotherapie. Wenn man das gut plane, könnte ein Arzt einen Patienten ins PVZ schicken, wo die Intervention erfolgt. Anschließend gehe dieser Patient wieder zurück zu seinem Arzt.

Das PVZ – die Zukunft der Allgemeinmedizin?

"Ich würde nicht sagen, dass die Zentren die Zukunft sind, sondern diese Arbeitsweise ist die Zukunft", sagt der Hausarzt. So etwas könne genauso gut in Netzwerken organisiert werden, beispielsweise am Land, wo man eine immer erreichbare zentrale Ansprechstation mit dezentralen Ärzten etablieren könnte. Dort sollte der Patient eine Vertrauensperson – Arzt oder Pflegeperson – haben, die er gut kennt. Dieses Zentrum muss angeschlossen sein an die benötigten extramuralen Strukturen wie die ambulante Pflege. "So kommt es nicht auf den einzelnen Arzt an und man kann schnell arbeiten, ohne dass dieser eine Arzt ständig erreichbar sein muss", erklärt der Allgemeinmediziner. Diese Abläufe müssten für die Patienten in der Primärversorgung geregelt sein. Dazu müssten jedoch die Einzelärzte mehr Möglichkeiten haben, sich zu vernetzen, zum Beispiel über spezielle Softwarelösungen. "Die grundsätzliche Frage ist doch: Wir müssen 400000 Menschen in Graz versorgen, wie tun wir das? Und das Gleiche muss auf dem Land passieren", so Korsatko. Dazu sei aber ein Umdenken notwendig, und das betreffe nicht allein die Ärzte, auch Sozialversicherungen, Krankenhäuser und Länder müssten erkennen: Wir haben hier einen Auftrag!

Bericht:
Dr. Corina Ringsell, Mag. Thomas Schindl

Back to top