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Österreichischer Primärversorgungskongress

Modelle der Qualitätssicherung in der Primärversorgung

Das Thema Qualitätssicherung spielt auch für Allgemeinmediziner eine immer wichtigere Rolle. Die Herausforderung besteht darin, praktikable Lösungen zu finden, die mit möglichst geringem Aufwand in die tägliche Routine integriert werden können und dennoch den geforderten Kriterien genügen. Wie so oft ist bei der Gestaltung der zugrunde liegenden Prozesse der Blick über den Tellerrand ebenso hilfreich wie die Frage: Wie machen es andere?

Das FIRE-Projekt in der Schweiz

Rahel Meier, MSc ETH, vom Institut für Hausarztmedizin an der Universität Zürich stellte in Graz das FIRE-Projekt vor. FIRE steht für "Family medicine ICPC Research using Electronic medical records". Ziel ist der Aufbau einer Datenbank für Forschung in der Allgemeinmedizin auf der Basis von medizinischen Routinedaten aus elektronischen Krankengeschichten ("electronic medical records"). Die Diagnosen werden nach der "International Classification of Primary Care" (ICPC) klassifiziert. Seit 2009 werden von Hausärztinnen und -ärzten anonymisierte Daten mit Informationen über alle ihre Patienten gesammelt. Die Auswertung dieser Daten soll helfen, die Versorgungswirklichkeit besser abzubilden und um relevante medizinische Routinedaten aus der Grundversorgung (Beratungsanlässe/Diagnosen, Vital-/Laborwerte, Medikation) zu erweitern. Außerdem soll die Basis für ein Feedback- und Benchmarkingsystem geschaffen werden, mit dessen Hilfe die teilnehmenden Ärzte die Qualität ihrer Arbeit und ihrer medizinischen Dokumentation bewerten und anonymisiert mit Kollegen vergleichen können.

Derzeit nehmen 500 Hausärzte mit mehr als 550000 Patienten teil. Fast 6 Mio. Konsultationen mit nahezu 4 Mio. ICPC-Diagnosen wurden erfasst, mehr als 5,1 Mio. Laborwerte und rund 25 Mio. Medikamente dokumentiert. Alle zwei Monate erhalten die Teilnehmer einen Feedbackreport, der ihnen eine Übersicht über ihre eigenen Daten bietet. Außerdem erfolgt ein anonymer Vergleich mit Kollegen. So wird unter anderem die Qualität der Diabetesversorgung, der INR-Einstellung bei Marcumarpatienten und der Hypertonietherapie in den Schweizer Hausarztpraxen untersucht und transparent dargestellt. In Zusammenarbeit mit verschiedenen Ärztenetzwerken wurde zudem ein Set von Qualitätsindikatoren für die Betreuung von Patienten mit Bluthochdruck und Diabetes entwickelt. So können die in einer Praxis behandelten Diabetiker hinsichtlich verschiedener Parameter, unter anderem Einstellung des HbA1c oder des Blutdrucks, mit den Patienten der Kollegen verglichen werden.

Derzeit läuft eine randomisierte, zweiarmige Studie, in der untersucht wird, ob ein "Belohnungssystem" nach dem Vorbild von Großbritannien hilft, die Versorgung von Diabetespatienten zu verbessern.

Die "Austrian Outpatient Quality Indicators" (A-OQI)

Dr. Gottfried Endel, Allgemeinmediziner und Leiter des Bereichs "Evidence-based-Medicine" im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, stellte die "Austrian Outpatient Quality Indicators" (A-OQI) vor. Im stationären Bereich wurde die Qualitätsmessung, besonders mit den "Austrian Inpatient Quality Indicators" (A-IQI), bereits eingeführt. Nun folgt ein vergleichbares Konzept für den ambulanten – und hier zunächst den niedergelassenen – Bereich. Es soll jedoch längerfristig bereichsübergreifend angelegt werden. Zunächst wurden Indikatoren für folgende Themen entwickelt:

  • chronische Krankheiten (in der Testphase Diabetes mellitus)

  • Interventionen (in der Testphase Blasenkarzinom)

  • Patientensicherheit (in der Testphase potenziell inadäquate Medikation – PIM)

  • Patientenzufriedenheit (Befragung)

Beispiel Diabetes

Als Indikatoren für die Prozessqualität bei der Behandlung von Diabetes mellitus wurden definiert:

  • Laborkontrollen, Augenuntersuchung

  • Schulungen, Fußinspektion

Als Ergebnisparameter für die Versorgungsqualität bei Diabetes mellitus dienen:

  • Krankenhausaufenthalte aus jeglichem Grund

  • Krankenhausaufenthalte wegen Diabetes mit/ohne Komplikationen

  • Krankenhausaufenthalte aufgrund von Herzinfarkt, Schlaganfall, Niereninsuffizienz, Dialyse, Amputationen, Nierentransplantationen

  • verlorene Lebensjahre

Dabei wird auf bereits erhobene (Routine-)Daten des Gesundheitssystems zurückgegriffen. Für die Auswertung und Rückmeldung an die teilnehmenden Ärzte wurden regionale Qualitätszirkel gegründet. Dies dient vor allem dem Zweck, besser auf regionale Unterschiede eingehen zu können. Indikatoren sind das Befolgen von Leitlinien und Unterschiede in den Behandlungsverläufen, die in den regionalen Qualitätszirkeln ausgewertet und besprochen werden. Auch das Wissen und die Erfahrungen der Mediziner und anderer Gesundheitsdienstleister vor Ort werden dabei einbezogen, da nur so Einflussfaktoren berücksichtigt werden können, die in den Routinedaten nicht abgebildet werden. Finden sich dabei positive wie negative Einflüsse, die verändert werden können, kann ein "Best practice"-Vorgehen definiert werden, das dann auch von anderen Regionen übernommen werden kann.

Derzeit werden Indikatoren für die Versorgung von kardiologischen Patienten entwickelt.

Qualitätsindikator-Sets zur PVE-Evaluierung

Prof. Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), sprach über bundeseinheitliche Vorgaben und länderspezifische Ausprägungen von Qualitätsindikator-Sets zur Evaluierung von Primärversorgungseinheiten (PVE). Grundlage ist die Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG Zielsteuerung-Gesundheit in der Fassung von 2013. Darin heißt es unter anderem: "Der Bereich der Primärversorgung (‚Primary Health Care‘) ist nach internationalem Vorbild auch im niedergelassenen Bereich zu stärken." Außerdem wird Versorgungsforschung gefordert, um "bedarfsorientierte Planung, Entwicklung und Evaluation zu gewährleisten".

Am Beispiel des Primärversorgungszentrums Medizin Mariahilf in Wien stellte Ostermann verschiedene Indikatoren für unterschiedliche Zielebenen vor. Für die Patientenzielebene wurden in den Bereichen Patientenstruktur, Zugänglichkeit, Leistungsangebot und Verbesserung der Patientenkoordination 21 Indikatoren definiert. Dazu zählen unter anderem Patientenstruktur, Terminmanagement, Wartezeiten, Anzahl der Hausbesuche und Nutzung der Öffnungszeiten.

Auf der Anbieterzielebene wurden in neun Teilbereichen (Versorgung chronisch kranker, multimorbider und geriatrischer Patienten, Gesundheitsförderung und Früherkennung, Kontinuität und Kooperation, Medikamentenmanagement, Orientierung für Patienten, Steigerung der Attraktivität der Arbeit, Zusammenarbeit, Arbeitsrahmenbedingungen und Ausbildungsstätte) 35 Indikatoren gebildet. Unter anderem waren dies die Teilnahme von Diabetespatienten an Disease-Management-Programmen, die Weiterbildung des Personals hinsichtlich Gesundheitsförderung und Prävention sowie spezielle Angebote dazu für Patienten, aber auch die Vernetzung mit anderen Leistungsanbietern im Gesundheitswesen.

Auf der Zielebene der Systemsteuerung wurden 15 Indikatoren in den Bereichen Versorgung auf der richtigen Versorgungsstufe, Stärkung der Allgemeinmedizin, Qualitätssicherung und Honorierungsmodelle festgelegt. Zu den Indikatoren zählen dabei zum Beispiel die Patientenkontakte zu Allgemeinmedizinern, Fachärzten oder Ambulanzen sowie die Teilnahme des Zentrums an Qualitätszirkeln. Als Vergleich dienen jeweils Einzelordinationen.

Allerdings sei Vorsicht geboten, so Ostermann, da sich die Datengrundlagen oft unterscheiden, zum Beispiel die Leistungsdokumentation wegen derzeit unterschiedlicher Honorarkataloge sowie die Diagnosedokumentation, die zurzeit nur in PVE erfolgt.

Neben den von den PVE zu erhebenden Daten wurde beschlossen, einen bundeseinheitlichen Patientenfragebogen zu gestalten. Dieser enthält beispielsweise Fragen zur Wartezeit in der Ordination, zu Information und Kommunikation, zur Zufriedenheit mit der Behandlungskontinuität oder auch zur Erreichbarkeit zu Tagesrandzeiten.

Bericht:
Dr. Corina Ringsell

Quelle:
Primärversorgungskongress 2019, 4. bis 6. April 2019, Graz

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